Wer wir waren

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  • Beitrag zuletzt geändert am:Dezember 23, 2023

Liebe Menschen des Jahres 2123!

Wenn ich jetzt noch lebte, würde es mich sehr freuen, dass ihr diese Zeilen lest! Vielleicht war dafür ja eine größere Aktion nötig. Denn ich konnte ja nicht wissen, durch welche Krisen die Welt und insbesondere Deutschland in den letzten hundert Jahren gegangen ist. Und welche Unmengen an Texten die vergangenen Jahrzehnte euch hinterlassen haben. Und warum solltet ihr auch gerade diesen Aufschrieb lesen?

Egal, mein Anliegen ist, euch mitzuteilen, dass es vor hundert Jahren durchaus Menschen gegeben hat, die wussten, welch problematische Konsequenzen die eigentlich so erfolgreiche politische und wirtschaftliche Entwicklung der westlichen Länder im 20. Jahrhundert mit sich brachte. Ich kann bezeugen, dass alle krisenhaften Entwicklungen, sei es der so verharmlosend bezeichnete Klimawandel, das Artensterben oder auch der wachsende Einfluss autoritärer Regime bzw. rechter politischer Strömungen seit vielen Jahren über alle relevanten Medien vielfältig kommuniziert wurde.

Ihr fragt euch sicherlich: “Warum habt ihr da nicht rechtzeitig gegengesteuert? Ihr hättet doch mit vergleichsweise wenig Aufwand einen Großteil des Schlamassels verhindern können!” Ja, da habt ihr natürlich Recht und die Frage ist: Warum ist da so wenig passiert?

Nach meiner Einschätzung waren die meisten von uns – und  ich selbst sicherlich auch lange Zeit – geblendet und gelähmt durch den Wohlstand und Frieden, den unsere Mütter und Väter nach dem 2. Weltkrieg erarbeitet hatten. Uns allen war damals nicht bewusst, dass erst das außerordentlich stabile Klima des Holozän unserer Landwirtschaft dauerhaft sichere Ernten bescherte und damit den Aufstieg des homo sapiens beförderte. Die Vorstellung, dass die Menschheit dieses Klima gefährden und sich einmal im Taumel des Erfolgs selbst in den Abgrund ziehen könnte, wurde zu lange als abwegig deklariert, wenn sie überhaupt zur Wahrnehmung gelangte.

So schrieb ich beispielsweise Ende 2023, also vor hundert Jahren, recht provokant in meinen Blog:

Die meisten Deutschen sind nicht ernsthaft interessiert am Schutz ihrer natürlichen Lebensgrundlagen. Denn wären sie es, würden sie sich kümmern, anstatt tatenlos zuzusehen, wie diese stückweise zerstört werden. Oft finden diese Menschen gar nichts dabei, die bedrohliche Lage durch ihren Lebensstil noch zu verschlimmern. Sie nehmen die Schädigung achselzuckend, das heißt: billigend in Kauf. Ob sie damit in fünfzig oder hundert Jahren eine dramatische Verschlechterung der Lebensbedingungen bewirken und so ihre Kinder und Enkel vor große Problemen stellen, kümmert die meisten Deutschen nicht. Von den Generationen der nächsten Jahrhunderte ganz zu schweigen. Das Gefühl der Verantwortlichkeit scheint ihnen fremd. Sie tun so, als ginge sie die Misere eigentlich gar nichts an.

Hätte mir das jemand vor fünf Jahren so ins Gesicht gesagt, ich hätte ihm maßlose Übertreibung vorgeworfen. Leider muss ich nun selber feststellen, dass er wohl leider Recht gehabt hätte. Schlimmer noch: Trotz aller Aufklärung in der Sache seither bleiben die Menschen im Hier und Jetzt verhaftet. Ernst-Ulrich von Weizsäcker spricht in diesem Zusammenhang von einer „Gegenwartsbesoffenheit“. Man kneift die Augen fest zu oder steckt den Kopf in den Sand. Es gibt viele Bilder, um diese Verblendung anzuprangern. Natürlich ohne Wirkung.

 Meine Hoffnung liegt jetzt bei

  • politisch Verantwortlichen, denen der Ernst der Lage bewusst ist und die bereit sind, für ihre Ziele zu kämpfen oder zumindest dicke Bretter zu bohren.
  • den zahlreichen Wissenschaftlern, Journalisten, Autoren und Aktivisten, die aufklären und aufbegehren.
  • dem informierten und mutigen Teil der Jugend, der nicht nur sein eigenes Fortkommen in der Gesellschaft im Auge hat sondern tatsächlich weiter schauen will und kann.
  • und natürlich allen Bürgern, die wie ich das Problem nicht ignorieren sondern immer wieder ansprechen.

Wo immer ich eine Chance sehe, diese Menschen zu unterstützen, will ich es tun.

Ob damals irgendjemand davon Notiz genommen hat? Ich weiß es nicht. Fahren wir also fort:

Zum Wohlstand gehörte natürlich das billige Öl und Erdgas, mit dem wir ohne irgendwelche Skrupel unsere Häuser beheizten, durch die Welt jetteten und mit dem wir zehntausende Kilometer hinter dem Steuer durch Europa zurücklegten. Während unserer Lebenszeit war es nämlich noch ein Vergnügen, den Urlaub in südlichen Ländern zu verbringen. In Spanien, Griechenland, Italien und Südfrankreich waren die Temperaturen schon in den Pfingstferien sommerlich. Man konnte dort baden und sich des warmen Wetters erfreuen, anstatt im trüben Deutschland im Regen zu frieren. Das mag euch jetzt natürlich seltsam erscheinen, wo doch – so  vermute ich – längst große Teile der Bevölkerung Südeuropas wegen der unerträglichen Hitze dort in den Norden abgewandert sind. Die Politik schleppte sich von Klimakonferenz zu Klimakonferenz; nur wenige Länder und Verbünde wie die Europäische Union konnten sich auf konkrete Ziele und Maßnahmen einigen. Die Erdöl-“produzierenden” Länder wollten ihren Reichtum verständlicherweise nicht einfach hergeben und förderten noch lange munter weiter. Ja, es wurde gehandelt, aber eben zu spät und zu zögerlich.

Zeitgleich beschleunigte sich das Leben der Menschen unaufhörlich, vor allem durch die elektronische Kommunikation. Das lenkte sie noch mehr von drängenden Zukunftsfragen ab. Die sogenannten sozialen Medien verbanden uns alle in der Echtzeit, der wir dann hechelnd und vielleicht auch etwas überfordert hinterher liefen. Vielleicht habt ihr von Roger Willemsen gehört, der sein Buch-Projekt mit dem Titel “Wer wir waren” krankheitsbedingt nicht vollenden konnte. Es wurde sogar verfilmt. Leider ist es mir damals nicht gelungen, dieses Werk in größerer Runde anzuschauen und zu besprechen. Wir waren eben alle so beschäftigt mit unserem Leben. So müsst ihr euch mit diesem kurzen Statement begnügen. Denn auch ich muss jetzt weiterziehen…

Vielleicht komme ich aber später noch einmal auf euch zurück! Schaut mal in der Umgebung dieses Briefes, ob ihr da noch andere Werke aufstöbern könnt. Vorgenommen hatte ich es mir jedenfalls! Denn es schließt sich ja noch eine wichtige Frage an: “Wer wollen wir denn gewesen sein?”. Soll heißen, noch ist unser Leben ja noch nicht vorbei! Es bleibt also Zeit zum Handeln.

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