Wer sind wir eigentlich?

Fällt das Wort “eigentlich”, werde ich immer etwas hellhörig, denn oft werden vor oder nach diesem Wort eher Meinungen und Erwartungen geäußert anstatt Aussagen, die der Sache zu eigen sind. Aber das sollte ja eigentlich klar sein :-)

Fangen wir einmal mir unserem Dasein an: Wir alle wurden von unseren Müttern geboren – so glauben wir. Zwar waren wir bei der Geburt dabei, aber wir erinnern uns nicht. Andere haben uns das erzählt und wir vertrauen ihnen, bestärkt auch durch manche äußerliche und innerliche Ähnlichkeit, die wir später zwischen unseren Eltern und uns feststellen konnten. Und unsere Mütter? Nun, die wurden ebenfalls von ihren Müttern geboren und so geht das zurück durch die Jahrhunderte, Jahrtausende  und Jahrmillionen. Irgendwann schlüpften sie mehrheitlich außerhalb ihrer Mutter aus dem Ei, und ganz früher fand die Fortpflanzung noch im Meer statt. Eine sehr lange und sicher ununterbrochene Kette von Zellteilungen und Reproduktionen verbindet uns mit unseren Vorfahren – und nicht nur mit ihnen, sondern ebenso mit allen heute lebenden Menschen und Tieren, vermutlich allen Lebewesen überhaupt. Dabei sind wir – wie alle Zeitgenossen – nur ein temporäres Glied der Lebenskette. Individuen sterben – Genome überdauern. Wir waren und sind noch immer fest verwoben – und das heißt: abhängig! – von der Vielfalt und Fülle des Lebens um uns herum, die uns nährt. Die Erde und die belebte Natur auf ihr braucht uns nicht, aber wir brauchen sie!

Die ganze Geschichte fand und findet statt auf einem ewig kreiselnden Planeten eines mittelmäßigen Sterns in einer ruhigen Region der Milchstraße. Das Material, zusammengeballt aus den Überresten des Urknalls und vergangener Supernovae, stetig erwärmt durch die Sonne, ständig durchmischt von Wind und Regen hat auf diesem Planeten sonderliche Formen angenommen. Wir nennen sie “Leben”. Vermutlich ist ähnliches auch woanders in unserer Galaxie oder den anderen 100 Milliarden von ihnen passiert – aber es trennen uns unendliche Weiten leeren Raumes. So gesehen sind wir als Kinder des Weltalls gemacht aus Sternenstaub.

Nun, über unser kulturelles Wesen als Resultat einer komplexen Entwicklung will ich keine großen Worte verlieren, da empfehle ich Yuval Noah Harari’s “Eine kurze Geschichte der Menschheit”. Es schichten sich übereinander die “Revolutionen” der Verstandesbildung, Sprachentwicklung, Ackerbau und Viehzucht, Staatenbildung, Wissenschaft und Technik. Unsere Kultur ist griechisch-römisch auf der verstandesmäßigen Seite und christlich-jüdisch auf der spirituellen. Das Bisschen deutsch sein oder gar schwäbisch und aus einer bestimmten Familie zu stammen, erscheint eher unbedeutend.

Da ist schon eher unser wirtschaftlicher Status bemerkenswert. Zu keiner Zeit gab es hierzulande solch einen Reichtum an materiellen Gütern sowie Wissen über den Menschen und die Welt. Das sah und sieht in vielen Ländern ganz anders aus. Hinzu kommt eine früher wohl ungeahnte Sicherheit, Freiheit, Chancengleichheit, Mobilität, Komfort und Gesundheitsfürsorge. Ginge es nach uns drastisch bergab mit der Menschheit, würde unsere Zeit sicherlich als der deutlich herausragende Höhepunkt der kulturellen Menschheitsentwicklung gelten – wenn es dann noch jemand gäbe, der dies bestaunen könnte.

Wir wissen zwar, dass unser Denken das Gewohnte vorschnell für normal d.h. für andauernd und immer verfügbar hält. Aber wir ziehen daraus doch oft nur wenige Schlüsse. Sind wir manchmal blind für das oben Gesagte, tanzen nur nach der aktuellen Schlagzeile und jagen dem jährlich neuen Hyper-XL-Modell der Auto- oder Elektronikbranche hinterher? Oft sieht es so aus.