Die Klimaproblematik ist in ihren Grundzügen doch recht einfach strukturiert. Trotzdem tun wir uns sehr schwer, in der Breite der Gesellschaft zu einer lösungsorientierten Einstellung zu kommen. Das fängt schon im Kleinen an: Schneidet man das Thema Klimakrise ohne offensichtlichen Anlass bei Menschen an, deren Standpunkt man nicht kennt, muss man mit vielfältigen Reaktionen rechnen. Natürlich haben alle irgendwie davon gehört und vermutlich haben die meisten auch ein ungutes Gefühl bei der Sache, doch es ist schwierig, einen Anfangspunkt für ein gutes Gespräch zu finden. Wie kann ich mein Gegenüber in einer Weise ansprechen, dass er oder sie überhaupt auf mich bzw. das Thema eingehen will? Wie kann ich auf die Bemerkungen der anderen so sensibel reagieren, dass wir in einen fruchtbaren Austausch kommen? Dafür gibt es natürlich kein Patentrezept und ich kann auch keines liefern. Aber vielleicht hilft eine einfache Struktur, meine Rede zu leiten.

Das Zwei-Brücken-Modell soll helfen, die vielfältigen Gedanken rund um den Klimaschutz zu sortieren und diesbezügliche Gespräche zu strukturieren. Insbesondere soll es…

  1. beschreiben, welchen geistigen Entwicklungsprozess Klimaschützer vollzogen haben.
  2. erklären, warum es oft schwierig ist, Forderungen zum Klimaschutz verständlich zu machen.
  3. helfen, mehr Menschen für den Klimaschutz zu gewinnen.

Es ist eine simple Darstellung, die 5 Elemente enthält, wie auf diesem Bild zu erkennen:

Die 3 blauen Inseln stellen Gedankenwelten oder Themenbereiche dar. Die 2 braunen Bögen als verbindenden Brücken stehen für die Erweiterung des Denkhorizonts. Die Idee ist, dass man von der ersten Insel der kleinen Alltagswelt über die zweite zur dritten Insel der Konsequenzen, d.h. des verantwortlichen Handelns kommt.

Die Inseln sind durch die darunter stehenden Wortlisten schon beschrieben. Es bleiben die Brücken:

1. Brücke

Der erste Schritt besteht darin, die große Welt zur Kenntnis zu nehmen. Nicht in ihrer ganzen Fülle, sondern zumindest mit den wichtigen Aspekten. Das stellt grundsätzlich keine besondere Schwierigkeit dar, denn ganz vereinfacht kann man ja sagen:

Durch die Verbrennung von Kohle, Öl und Gas entlassen wir Menschen soviel Abgase (CO2) in die Luft, dass sich die Erde immer weiter erwärmt. Wenn wir damit nicht aufhören, werden zukünftige Generationen große Probleme haben, ein gutes Leben zu führen. Schlimmer noch: Länder, in denen heute hunderte Millionen Menschen leben, würden wegen der Hitze einfach unbewohnbar.

Eine tiefer gehende Beschreibung der 1. Insel findet sich hier.

Warum aber sollte man sich überhaupt einen Kopf machen, soll heißen: Warum sollte man über die erste Brücke gehen? Mögliche Antriebe sind:

  • Als Bewohner des Planeten Erde bin ich generell interessiert an Vorgängen, die mein Leben und das meiner Nachfahren existenziell betreffen.
  • Es wird vor einer Erwärmung der Erde gewarnt. Was bedeutet das und geht mich das überhaupt etwas an?
  • Manche sagen, ich würde mich nicht richtig verhalten, wenn ich in den Urlaub fliege. Wie kommen die darauf?
  • Viele sagen, man solle Energie sparen. Warum denn, wenn doch genug da ist und ich sie bezahlen kann? Schließlich arbeite ich hart und will darum auch meinen Komfort und mein Leben genießen!
  • Ich möchte verstehen, was die Schüler von Fridays for Future bewegt.

Aber es gibt auch eine Menge Überlegungen, die ein Beschreiten der Brücke verhindern:

  • Es ist doch Aufgabe der Regierung, hier nichts anbrennen zu lassen! Mir fehlen dafür sowohl die Kenntnisse als auch die Zeit.
  • Das Klima hat sich in der Vergangenheit doch schon immer gewandelt. Da wollen sich die Grünen nur wichtig machen.
  • Um solche Probleme werden sich die Ingenieure der großen Firmen schon kümmern. Denn die wollen ja bestimmt nicht, dass eine globale Krise ihr gutes Geschäft verdirbt.
  • Ich verstehe nichts von Physik und den Mainstream-Medien glaube ich sowieso nicht.
  • Wenn ich mich mit dieser Thematik beschäftige, vergeht mir garantiert die Lebensfreude und ich lebe nur noch in Sorgen um die Welt von morgen.
  • Oder noch stärker: Ich habe Angst vor einer schlimmen Erkenntnis, die mir womöglich jeden Lebensmut raubt. Darum schaue ich lieber weg.

Vermutlich blenden manche das Thema auch unbewusst aus, sodass sie gar keine Gründe formulieren können.

2. Brücke

Wenn ich die Problematik erkannt habe, kann ich mir ausmalen, welche Konsequenzen die Klimakrise auf unser aller Leben haben wird bzw. haben sollte. Wie müssen wir uns anpassen? Wie können wir das Schlimmste verhindern? Es leuchtet ein, dass viele Parteien zu einer Lösung beitragen müssen. Z.B. müssen Länder kooperieren, Regierungen die richtigen Gesetze erlassen, Privatleute die richtigen Volksvertreter wählen und sich vorbildhaft verhalten.

Eine tiefer gehende Beschreibung der 2. Insel findet man hier.

Mögliche Antriebe, über diese Brücke zu gehen sind:

  • Ich möchte die Lebensfreude meiner Enkel nicht gefährdet sehen.
  • Ich möchte nicht der- oder diejenige sein, die sich unverantwortlich verhält.
  • Ich möchte nicht tatenlos zusehen, wie sich die Lage verschlechtert.
  • Ich habe jahrzehntelang im fossilen Wohlstand gelebt, bin viel geflogen, mit dem Auto gefahren etc. pp. Jetzt muss ich erkennen, dass wir auf dem Weg ins Verderben sind und will mein bestmögliches tun, um das Schlimmste zu verhindern.

Aber es gibt auch Hinderungsgründe für ein Überschreiten:

  • Das Problem ist viel zu groß, als dass ich da irgend eine Wirkung erzielen könnte. Was aber garantiert ist, dass ich mein schönes Leben aufgeben müsste. Nein Danke!
  • Solange die Chinesen weiter Kohlekraftwerke bauen, brauchen wir in Deutschland uns nicht ruinieren. Das bringt sowieso nichts.
  • Womöglich werde ich dann als Grüner angesehen, dabei gefallen die mir überhaupt nicht.
  • Vermutlich gelange ich dann zur Einsicht, dass ich mich einschränken sollte, z.B. beim Fliegen in den Urlaub. Weil das die Mehrheit der Deutschen aber sicher nicht so sieht, machen die sich ein schönes Leben und ich gucke in die Röhre! Da warten wir mal lieber ab, bis es verboten wird.

Andere denken sich womöglich: “Was morgen zerstört sein könnte, möchte ich mir heute noch “heil” anschauen auf Reisen”. Kann dieses Motto verantwortlich genannt werden?

Politische Relevanz

Damit die Regierung die notwendigen Gesetze zum Umbau vor allem in der Wirtschaft beschließen kann, braucht sie die Unterstützung ihrer Wähler. Die wird sie nur erhalten, wenn die Bürger deren Notwendigkeit und Sinnhaftigkeit einsehen können. Dies wiederum erfordert, dass sie über beide Brücken gegangen sind, was ja heutzutage noch lange nicht der Fall ist.

Bemerkungen

  1. Natürlich haben die Klimaschützer den geistigen Entwicklungsprozess nicht so formal Brücke für Brücke vollzogen. Vielmehr geschah vieles gleichzeitig, manche haben ihre Arbeit auf die zweite oder dritte Insel konzentriert und dort vielleicht nur auf Unterpunkte. Aber hat man einmal beide Brücken einmal überschritten, gibt es kein Zurück!
  2. Aus dem Modell wird sofort klar, dass es keinen Sinn macht, Menschen, die noch vollständig in der kleinen Welt leben, mit harten Forderungen nach Konsequenzen zu konfrontieren. Vielmehr muss man sie ermutigen, über die Brücken zu gehen und sich mit den Inseln #2 und #3 vertraut zu machen. Das wäre dann Klimapädagogik.
  3. Insbesondere wäre es hilfreich, die Hinderungsgründe für das Beschreiten der Brücken weiter zu erforschen. Dann könnte man die Menschen mit geeigneten Hilfestellungen und entsprechender Einfühlung besser bzw. überhaupt erreichen. Hier liegt ja in einem demokratisch verfassten Staat die große Herausforderung! Falls dies misslingt, werden zu viele Wähler Opfer populistischer Strömungen und die Lage wird noch schwieriger.
  4. Dieses Modell lässt sich auch auf andere Themen anwenden, z.B. auf die gesamte ökologische Krise, mit der die Menschheit konfrontiert ist. Die drohende Klimakatastrophe ist ja nur ein Symptom der Überschreitung planetarer Grenzen.

Letzte Aktualisierung: 17.10.2022