Säkularisierte Grundschule

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  • Beitrag zuletzt geändert am:Februar 12, 2023

Letzten Samstag besuchte ich in Tübingen eine besondere Veranstaltung: In einer Mischung aus Konzert und Lesung wurde eine Brücke zwischen Kosmologie und barocker Musik geschlagen. Woher kommen die Jahreszeiten? Und wie wurden sie einst zu Gehör gebracht? Zur Beantwortung der ersten Frage gab Harald Lesch eine Einführung in die Geschichte von der Entstehung und Entwicklung der Erde. Dabei sparte er nicht mit Fakten, sodass er den nicht Eingeweihten ein Feuerwerk an wissenschaftlichen Erkenntnissen abgebrannt hat, das sie vermutlich schwindelig zurück ließ. Kurz gesagt sollte jedem Zuhörer klar werden, warum es überhaupt Leben auf der Erde geben kann (nicht: muss) und warum ein Umlauf der Erde um die Sonne mit veränderlichen Temperaturen einhergeht – das Jahr mit seinen Zeiten von Frühling bis Winter. Schuld daran ist Theia, die beim Zusammenstoß mit der Erde deren Rotationsachse verdrehte und nebenbei den für uns so wichtigen Mond erschuf.

Den musikalischen Part übernahm das Merlin Ensemble Wien mit der vollständig handgemachten Darbietung von Vivaldis Vier Jahreszeiten. Für mich liegt dieses Werk auf den vorderen Plätzen der ewigen Bestenliste abendländischer Musik.

Ein Reiz der Veranstaltung lag sicherlich im Kontrast: So wurde einerseits die Musik in der historisch überlieferten Version gespielt; die Geige des Solisten datierte aus dem Jahre 1700. Doch anstatt auf eine – historisch passende – christlich geprägte Schöpfungsgeschichte zurück zu greifen oder in Gefühlen zu schwelgen, wurden nüchterne Fakten der modernen Wissenschaften präsentiert. Und deren Umfang bereitete dann den Boden für die Botschaft des Abends: Der Menschheit stehen schwere Zeiten ins Haus, sollte sie nicht schleunigst davon ablassen, fossile Energieträger zu verbrennen und so die Atmosphäre mit noch mehr Kohlendioxid aufzuladen.

Dies war – und ist: das Ensemble tourt ja noch durch die Republik – ein weiterer Versuch, den Menschen durch Information nahezubringen, was die Stunde geschlagen hat. Da kann ich nur sagen: Viel Glück! Denn meine Erfahrung diesbezüglich ist nüchtern. Als Ingenieur schaut man bei jeder Unternehmung stets auf das Verhältnis von Aufwand zu Nutzen, auch Effizienz genannt. Und die fällt bei dem Bemühen, Menschen die Problematik der Klimakrise und die notwendigen Konsequenzen nahe zu bringen, doch eher mickrig aus. Darum geht mir schon seit Jahren der Gedanke im Kopf herum: Verschwende deine noch verbleibende Lebenszeit nicht auf Erwachsene! Da ist Hopfen und Malz verloren. Entweder haben sie heute schon die Einsicht oder aber sie werden sie niemals erlangen. Denn wer das seit vielen Jahren andauernde Trommelfeuer besorgniserregender Berichte über den Stand der (Um-)Welt in den seriösen Medien ignoriert hat, lebte bislang schon hinterm Mond, hatte und hat seine Gründe dafür, und wird sich auch jetzt nicht hervorlocken lassen. (Gegenbeispiele sind natürlich höchst willkommen!)

Dabei steht der Menschheit gerade der zweite Lackmustest für das Überleben einer technologischen Zivilisation bevor: Beim ersten ging es darum, trotz atomarer Hochrüstung eine Selbstvernichtung zu vermeiden. Diese Kurve haben wir gerade noch gekriegt- na ja, fast. Der zweite Test prüft, ob verstandesmäßiges Verhalten in weiten Teilen der Bevölkerung so weit ausgeprägt ist, dass man/frau trotz der Totzeiten im Prozess nicht an Überhitzung stirbt, weil der eigene Energie-Müll CO2 den Planeten aufheizt. Soll heißen: es kommt darauf an, vorausschauend zu handeln, nicht erst, wenn das Kind im Brunnen liegt.

Doch wie kriegen wir das am besten hin? Mein Favorit ist die Erziehung der Kinder in einer säkularisierten Grundschule, die sagt, was Fakt ist – und somit schlicht den Wissenschaften folgt. Dabei geht es mir weniger um eine Abkehr von religiösen Inhalten – daran haben sich schon andere die Zähne ausgebissen. Sondern um die Feststellung, dass wir Menschen uns als Teil der Erde verstehen lernen, der genau so in viele Kreisläufe des Lebens eigebunden ist, wie anderes irdische Leben auch: Vom Tag/Nacht-Rhythmus, den Jahreszeiten, bis zum Lebenszyklus jedes Individuums: Das sprosst, schlüpft oder wird geboren; entwickelt sich zur Reife, pflanzt sich fort und stirbt. Und dabei treten die Organismen in vielfältige, lebenswichtige Wechselwirkungen untereinander und mit der abiotischen Umwelt. Massive Störungen in diesen Bereichen führen zwangsläufig zum Untergang. Sollte doch nicht so schwer sein zu kapieren, oder? Zumal, wenn es das Erste ist, das man über die Welt und sich erfährt.

Ansonsten muss man erst einen Perspektivwechsel vollführen, der nicht allen leicht fällt oder vielen gar versagt bleibt: Komme ich am Sonntag Abend nicht rechtzeitig nach Hause, weil mich die anderen Autos am Vorankommen auf der Autobahn  hindern, so darf ich mich fragen: Stehe ich im Stau oder bin ich der Stau? Analog dazu: Leben die Menschen auf der Erde (als könnten sie auch woanders) oder sind die Menschen Erde? Aus kosmischer Perspektive gesehen sind wir Menschen unbezweifelbar Erde: Wir bestehen aus irdischem Material und lösen uns wieder in Erde auf. Asche zu Asche, Staub zu Staub. Unsere körperliche und geistige Struktur, unser Wesen ist das Ergebnis einer ganz und gar irdischen Evolution. Soweit die Befunde der Wissenschaft.

Unsere Kultur hingegen stellt uns vor als geistige Geschöpfe – möglicherweise übernatürlichen Ursprungs – die jetzt auf der Erde leben und womöglich eines Tages zunächst andere Planeten und irgendwann die gesamte Galaxis bevölkern. Religiösen Menschen dient der Erdball sozusagen nur als Substrat zum Überleben; das Diesseits ist ein Jammertal. Und wenn wir gestorben sind, steigen wir auf in ein Himmelreich, wo uns die Unsterblichkeit winkt. Solch ein Weltbild führt aller Voraussicht nach in den Untergang, wir sollten uns davon verabschieden.

Meine These lautet also: Wenn wir als Menschheit den Perspektivwechsel nicht hinbekommen, indem wir die Kinder von klein auf eines besseren belehren, werden wir die ökologische Krise nicht meistern. Die säkularisierte Grundschule wäre ein Anfang!

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