Haben wir mittlerweile verstanden, was die Welt im Innersten zusammen hält, wie einst Goethes Faust fragte? Nicht wirklich, oder? In den letzten Jahrhunderten haben Forscher teils irritierende, aber doch sehr zuverlässige Modelle von Raum, Zeit und Materie erarbeitet. Sie basieren auf formalen, also mathematischen Beschreibungen der Realität. Haben wir damit eine klare Vorstellung davon, was die Welt ist, warum es sie gibt und uns darin? Ich glaube nicht, sondern sehe vielmehr keinerlei Chance, dass wir dieses Verständnis überhaupt je erlangen könnten! Müssten wir doch aus der Welt heraustreten, um sie von außen in Bezug auf Herkunft, Aufbau und Zweck untersuchen zu können. Aber das ist leider unmöglich, weil wir selbst Teil eben dieser Welt sind. Die Realität ist und bleibt also in diesem Sinne für immer unerforschlich.
Und es kommt noch schlimmer: Die Denkschule des Konstruktivismus lehrt uns, dass das, was wir umgangssprachlich „Realität“ nennen, eine selbst konstruierte Wirklichkeit ist. Erschaffen von einem Gehirn, dass sich aus den (als uniforme elektrische oder chemische Impulse) einlaufenden Sinneseindrücken etwas zusammenreimt, das taugt, um sich zu erhalten und fortzupflanzen. Diese Wirklichkeit darf nicht an der Realität scheitern, sonst stirbt ihr Erzeuger aus. Ansonsten darf sie beliebige Formen annehmen und für das Überleben unwichtige Qualitäten der Realität unterschlagen oder falsch darstellen.
Können wir also überhaupt unserer für real gehaltenen Wirklichkeit trauen? Denn wir sind ja gefordert, einen realistischen Blick auf die Welt zu richten, um als Menschheit auf diesem Planeten zu überleben. Wie passt das zusammen? Für mich so: Die Erdsystemwissenschaft hat, basierend auf den grundlegenden Naturwissenschaften, mithilfe verschiedenster Messgeräte und aufwändigem Computereinsatz eine überzeugende Wirklichkeit erschaffen, die nach vielfacher Prüfung bestätigt: Ja, wir bewegen uns auf eine selbsterzeugte ökologische Katastrophe zu, wenn wir nicht alsbald radikal umsteuern. Vermutlich wird es dazu leider nicht kommen, aber das liegt dann nicht an mangelnder Realitätsanbindung unserer Wirklichkeit, sondern an unserem defizitären Entscheidungsapparat. Der orientiert sich leider nur bedingt an Einsichten, vor allem dann, wenn deren Konsequenzen unbequem sind, drohende Gefahren nicht präsent, die Anzahl Beteiligter hoch und die erwartbaren Schäden noch in weiterer Ferne liegen.
Haben wir also ‒ von außen betrachtet ‒ kapiert, was die Stunde geschlagen hat? Nicht wirklich.
Und wenn jemand kommt und sagt: „Die Welt ist ohnehin nur eine Simulation, in der wir zu leben scheinen, sie existiert nicht wirklich!“ Was dann? An obiger Erläuterung ändert sich gar nichts. Denn, wie gesagt, der Urgrund der Welt ist uns nicht zugänglich, egal ob simuliert oder real, was immer das auch heißen mag.
Wem dieser Text als ein Verwirrspiel mit den Wörtern Realität, Wirklichkeit, Welt, Konstruktion usw. erscheint, dem empfehle ich das Buch Die erfundene Wirklichkeit von Paul Watzlawick (Hrsg.) und darin insbesondere die Beiträge der Autoren von Glasersfeld und von Foerster.